Komprimierte Bilder ©


I

In der immer größer werdenden Wahrscheinlichkeit, im Nomadentum transportabler Geschicke aufzugehen, müßten Bilder, sollten sie den Lockungen selbstreferenzieller Kapitalisierung noch entgehen wollen, vor allem dichter werden (Kamper 1994 u. Luhmann 1990). Wenn sie zudem formal wie zeitlich auch unauslösbar in eine verbrauchsgesteuert beschleunigte Genese gebunden sind, wäre also zu prüfen, ob von irgendeiner Seite ihnen ein Trägheitsmoment zuwachsen könnte, durch das sowohl der Isolation in gesetzmäßiger Selbstreferenz zu entkommen sein würde, als mit ihm ein Potential des Widerstandes gegen ihre allerorten gefügige Service-Leistung zu erwirken wäre (Deleuze 1985).

Operativ im Sinne einer handelnden Kunst betrachtet bedeutete dies, logische experimentelle Untersuchungen anzustellen, die im aktuellen und paradoxen Dilemma der Kunst – sich in eine Situation breit ausgenutzter Unbrauchbarkeit gedrängt zu sehen – die Abhängigkeiten, Variablen und Konstanten aufzuzeichnen in der Lage wären. Da sich gegenwärtig gerade das seit dem Klassizismus gebrochene Verhältnis zur Technik in der Kunst erneut rekonstituiert (Bredekamp 1993) und durch eine dort fast euphorisch adaptierte Technologisierung in der Avantgarde die Hoffnung sich aktivierte, nicht mehr Bilder aus, sondern für die Realität herstellen zu können (Weibel 1994), wäre auch im Hinblick auf die Medialisierung von Bildmaterial der Anlaß gegeben, über Konstitution, Dynamik und Konsequenz einer durch Transporte ermöglichten Omnipräsenz von Bildern nachzudenken. Der sich darin verbergende technologische Umbau der Kunst betrifft nicht mehr allein ihren Produktionsprozeß, sondern ebenso die Über- und Vermittlung der Kommunikation über Kunst. Hier nun spätestens gilt es zu beobachten, in welchem Verhältnis genau Bilder zu ihrem Transport und zu beider Zeitbedingungen stehen, und inwieweit sich diese gegenseitig dynamisieren.

Wenn beispielsweise in der digitalen Bilderfassung der Bildtransport bereits so vereinfacht ist, daß er bald realzeitlich zu erledigen, die Bildelemente alleine metamorphisch definiert und ineinander übersetzbar erscheinen läßt und die damit entstehenden Datenbündel als vermittelte Informationen als direkt von ihrer Geschwindigkeit abhängig und bedingt setzt, dann könnte sich hier eine Modalität verbergen, mit der quantitativ wie qualitativ das geltende Paradigma prozessual notwendiger Beschleunigung bereits relativiert würde. Denn, was formal metamorphisch aufgezeichnet, das heißt, semantisch paraphrasiert wird, das könnte diese Art der Kennzeichnung möglicherweise in und durch Bewegung und Transport überhaupt erst erhalten. Sollte das zutreffen, dann wäre damit diesen beiden medialen Qualitäten eine modale Wirkung zuerkannt, wie umgekehrt eine Bildinformation dann kausal an Bewegung und Transport gebunden wäre. In dieser Abhängigkeit wäre das neu. Die übliche Mehrwertabschöpfung aus gezielter Dekonstruktion von Paraphrasen könnte damit erschwert werden (Dany 1995) und so bliebe Bildern auch die Dienstbarkeit erspart, als Objekt einer Vivisektion zu taugen und trotzdem nur zur Transzendierung immanent bereits vorgestellter Konstruktion gedient zu haben. Angesichts neu aufzubauender Informationsnetze, deren Ordnung und Bedeutsamkeit noch im Entstehen ist, wäre eine solche Chance wohl wünschenswert, doch was bedeutete: dicht?

II

In einer Publikation Ludwig Hilbersheimers, Lehrer für Wohnungs- und Städtebau am Dessauer Bauhaus bis April 1933, findet sich eine Äußerung, die, 1931 verwendet auf einer Bebauungsplanstudie Wilhelm Jacob Hess’ eines Schülers von Hilbersheimer, von einigem Interesse ist. Dort heißt es in Bezug auf freistehende Einfamilienhäuser, sie eigneten sich besonders für eine umfassende Industrialisierung (was meint, industriell vorzufabrizierte Fertigteile davon herstellen zu können), man müsse aber den Ford! des Wohnungsbaus allerdings noch finden.

Zweierlei ist an diesem Vergleich von besonderer Bedeutung. Einmal wird die planmäßig standardisierte Form eines Wohnhauses, wiewohl noch nicht vorhanden, argumentativ schon vorausgesetzt, und, gemessen am fordistischen Wachstums- und Gesellschaftsmodell, nur noch zur Optimierung vorgeschlagen (was nebenbei zynisch getreu die Standardsequenz weniger ist mehr von Hilbersheimers Mentor, Mies van der Rohe, funktionalisiert) und zweitens wird dem bürgerlichen Vorbild des Wohnens, dem Einfamilienhaus, zur Aufgabe gemacht, dem Urbild industriell ermöglichter Mobilität, dem Ford T1 erfolgreich nachzueifern.

Dem Fließbandcharakter der Herstellung von Haus und Auto entsprach also bereits die daran gekoppelte Arbeitsmobilität ebenso, wie aus deren ausgeübter Gleichförmigkeit noch Individualität sich sublimieren ließ, obwohl deren Chancen in und durch die schon 1931 entwickelte multifunktionale und präformatierte Ästhetisierung des Massencharakters langsam aber mühelos verdrängt wurden. Durch eine vorrangig funktionale Definition von Technik wurde Bewegung – eben auch der Transport von Information – autonomisiert und damit als Verhältnisnahme zum zu transportierenden Objekt unterschlagen. Und so konnten, beispielsweise durch das Bauhaus, allgemeine Bildbedingungen formuliert werden, für deren Logistik die Verpackung interessanter erscheinen mußte als die gewonnene Mobilität. Die daraus schließlich erwachsende stärkere Signifikanz der Hüllen dominierte die beinhalteten und weniger signifikanten Produkte, auch Bilder, und machte deren Verwandlung in ideologisierbare und rhetorische Argumente möglich (Wünsche 1989, Wolfe 1981). Damit sollte umgekehrt das Produkt scheinbar ohne Symbolik sein Idee repräsentieren können. Ohne allzugroßen Aufwand gelang historisch dann auch gewinnbringende Dialektik zauberisch und transsubstanziell. So hieß es fast zeitgleich 1928 bei Le Corbusier: Das Haus - ein Palast; Der Palast - ein Haus. Aber bitte auf digitalen Rädern, müßte man heute hinzufügen um der Geschichte des Ausblickes Genüge zu tun. Während zeitgleich der bilderstürmende Futurismus politisch schon funktionalisiert wurde, glaubt man aus heutiger Sicht den postmodernen leeren Raum, in dem alles möglich, aber austauschbar ist, schon durchscheinen zu sehen: wenn die durch Kunst erzeugten Standards eine Technik erzeugen, die wiederum wiederholte Kunst erzeugt – Waren also aus sich selbst erfüllenden Versprechen – dann darf, neben der so apellativ gleich mitästhetisierten Ideologie, mit Benjamin (1936) hier hinzugefügt werden, daß solcher Reproduzierbarkeit die eigene Vernichtung als ästhetischer Genuß noch eignet und daß die notwendig fatalistisch sich gebende Beweisführung diesbezüglich direkt aber faschistischer Prägung entspringt.

Bedeutete also die funktionale Ablösung der Transportnotwendigkeit vom Transportgut für jenes schon eine Einbuße an Signifikanz zugunsten signifikanter Vermittlung, und war damit die Erscheinung Massenproduktion ökonomisch auch weniger signifikant geworden als ideologisch sie zur Matrize geriet, so verkehrte sich in der Massenproduktion der Kriegsmaschinerie das Verhältnis von Produkt, Transport, Verbrauch und Vernichtung erneut um die Achse Ideologie und potenzierte deren evolutionär sich gebendes Werbebewußtsein (Hein 1992) zentrifugal in imperialem Terror und Völkermord. Zu deren alleinigem Zweck war die zur mobilen Autonomie pervertierte autonome Mobilität denn schließlich auch herbeigeredet worden.

III

Waren sind mittlerweile nicht nur weltweit und umfassend standardisiert, sondern beginnen als Standards bereits waffentechnologische Strategien offensiv selbst zu apparatisieren: die Konkurrenz belebt nicht mehr das Geschäft, sondern ist bereits tödlich. Die dabei jeweilig gesellschaftlich angenommene Identität ist, als standardisierte Marke, zwar Ware, aber es ist offenkundig, daß im CI-Effekt eine weitere Entkopplung des Produktes von seiner Verpackung als Hypertextualisierung stattgefunden hat. Beispielhaft repräsentiert Individualität bereits ein Label, wie auch Eternity, GangStarr und Inmates schon fashioned blue sind. Die Ästhetik der Labels ist digitalisierbar und ideologisch wie ökonomisch auch global einfacher lancierbar. Die Homepages der Datennetze sind voll damit und sie funktionieren ausschließlich so.

Zusammengefaßt bedeutet dies für die Kunst zwischen Analyse und Schein: Auch Künstlerinnen und Künstler werden, wird ihre Arbeit um logistische Aufgaben ihrer Verbreitung erweitert, nurmehr Dienstleistende im Umtrieb mit Bildwaren oder Warenbildern sein, und die Kommunikationsform Kunst würde dann ein Dienstleistungsunternehmen darstellen, das – angesiedelt im Zwischenhandel, und, ökonomische Grundlagen vorausgesetzt – den von allen Produzenten erarbeiteten Mehrwert als Halbzeug zur Überarbeitung weiterreicht. Seit Duchamp gilt die Rezeption von Kunst als Teil der Kunst selbst und beides ist genau dann auch eine gemeinsame Ware, zu der sich selbst abseits von Überproduktion der Gebrauch oder Verbrauch noch hinzuzählte.

Wenn der Ort der Waren üblicherweise ein Markt ist, und wenn dieser sich stetig weiter in einen digitalen Speicher verwandelt, wird sich schließlich die ästhetische Wahrnehmung von der räumlichen Perspektive verabschieden, und im digitalen Raum verlustlos reversibler Daten könnten die erinnernden wie planenden Projektionen und Kontexte nurmehr dissoziative und disjunktive Differenzen – Differenzen von Differenzen – aufzeichnen.

So steht also an, die strukturalen, d.h. prinzipiell axialen Grundlagen der neuen Ware Bild zu klären. Sinnvoll, weil anschaulich, würde dabei sicher sein, wenn die darum konstruierten Aussagen vergleichend parallelisiert werden könnten. Aus systemtheoretischen Überlegungen und praktikabelen analogen Verhältnissen wäre mit dem Bildsystem Stadt, einer disjunktiven Bildakkumulation durch die eben auch konjunktive Qualitäten hergestellt werden können, eine solche Parallele recht gut gegeben.

IV

Konkret: Um eine Stadt insgesamt (beispielsweise) fotografieren zu wollen, müßte man sich ziemlich weit von ihr entfernen. So würde man sich wahrscheinlich entscheiden für ein Luftbild, eine Satellitenaufnahme oder eine Ansicht von einem erhöhten Standpunkt aus. Details und konkrete Situationen würden damit aber unterschlagen, es sei denn, es könnten in der Folge Techniken der militärischen Luftbildaufklärung genutzt werden. Sollten aber genau jene Details und Differenzierungen direkt fotografiert und dann summarisch aneinandergefügt werden, so wäre die Orientierung – eben der Überblick – leicht verloren, es sei denn, aus dubiosen Gründen stünde ein enzyklopädisches Archiv möglicher Einzelheiten zur Verfügung. Die Überlegung Komprimierte Bilder setzt genau dort an, im Paradox der auseinanderdriftenden Modellbestimmungen Lokalität und Universalität, also den horizontalen labyrinthischen Differenzen und den vertikalen kategorialen Differenzen, und es gilt zu zeigen, daß es Ränder gibt, an denen beide Modelle Momente der Ausdifferenzierung bilden, in denen schon prozessuale, integrative Übergänge zwischen den Modellen sich andeuten.

Wird hierfür vorausgesetzt, was Virilio (1989) sehr überzeugend gezeigt hat, daß, über die Eigenzeit hinaus, alles auch seine Geschwindigkeit hätte, so vertauschte interessanterweise eine solche Betrachtung in der Konstruktion eines Wachstumsmodells einer Stadt für die Gewichtung der Stadtteile die Peripherie mit dem Zentrum und ließe das Modell somit funktional invers erscheinen. Gleichzeitig erlaubte dieselbe Sichtweise jedoch, die lebenswichtige und weitaus aktivere Region der Stadt, die Stadtgrenze – als Hautorgan differenzierbar – für den Stadtkörper als schon integral funktionierend zu beschreiben.

In der Simultanität von Differenzierung und Integration wären dynamisch betrachtet all jene Unschärfen und Oszillationen, die sich aus zu bestimmenden Ortszeiten und Zeitorten ergeben, durch Bewegung auch abzuleiten und ihre eingenommenen Raumzeiten und Zeiträume stellten sich auch weniger als zwingend notwendige wie mögliche und wahrscheinliche dar. Man darf behaupten, daß nur dort, in einem als virtuellen Schnittbild gezeichneten Raum sich zeitgleich und ohne räumliche Differenz alle differenten Größen der Bewegung, die einer Symmetrieerhaltung, Phasenwiederholung und Impulserhaltung dienen, sich werden treffen und auslösen können. Im Sinne der Dynamik müßte unter den gegebenen Voraussetzungen ein solches Schnittbild auch ein virtuelles Zentrum, einen Schwerpunkt haben, damit außerhalb dieses Punktes alle Komponenten in einer Art zyklischem Gleichgewicht stehen können.

Nun wäre es naheliegend, bislang Behauptetes wiederum zu analogisieren und funktional das Stadtzentrum zu betrachten. Existiert es tatsächlich, oder ähnelt es als Verkehrszentrum eben nicht doch sehr diesem oben genannten virtuellen Punkt, um den eine komplexe, aber quantifizierbare Menge mobiler Faktoren kreist? Wirkt beispielsweise, um ein aktuelles Bild zu nennen, der hektische Auf- und Umbau Berlins nicht gerade deswegen so fragwürdig, weil vor einer möglichen Wiederbelebung des ehemaligen Verkehrszentrum heute, nach der Wiedervereinigung, dort nun die Bannmeile installiert wird und die ideologischen Hintergründe dieser politischen Entkernung genau darum eine symbolische Stützung bemühen müssen (vgl.: Engelsing 1979)? Oder wo etwa sollte, mit politisch ähnlich geräumter Mitte, das funktionale Zentrum von Paris liegen, wo schon seit dem Ende des 14. Jhd. es berufsspezifisch geprägte Viertel gab, in denen – was wir heute Szene nennen – stets nur dezentral ablief. Und was wäre das Zentrum von New York unter diesen Bedingungen anderes als ein rhetorische politisches?

Während virtuelle Realitäten sich derart schon realisieren lassen, mag nun langsam auch eine Vorstellung davon erscheinen, wo – zwischen den interferierenden Grenzen einerseits und wie – bezogen auf die offensichtlich unausweichliche Bedingung der Virtualität andererseits – das Moment der Kondensation für Komprimierte Bilder sich würde finden lassen: Es steht fest, daß in komplexen Systemen im Verlauf ihrer Ausdifferenzierung über den Moment pluralistischer Vergleichbarkeit hinaus es wieder zu Kondensationen und Konzentrationen kommt, die – freiwillig – willkürlich oder aber gesteuert und provoziert sind. Modellhaft für die Analyse von Stadtentwicklung, Städtebau und sozialer Strukturierung in einer Stadt wurde diese Untersuchung von Mike Davis (1994) am Beispiel von Los Angeles unternommen. Er konnte zeigen, daß der integrative Mythos der Stadt, ein utopisches Bewußtsein, in dem alles miteinander verknüpfbar erscheint, auf Grund der wirtschaftlichen, d.h. kapitalgesteuerten Entwicklung eben nicht zerstört wurde, wie man hätte annehmen können, sondern gesteuert ausdifferenziert wurde, so daß die riots wie eben aber auch der Blade Runner bereits vorhersagbar und, der Begriff schon offenbart es, in Kauf genommen worden waren. Man nutzte die ikonografisch vielfältigen Katastrophen und verkaufte sie. Für die Stadt bedeutet das eine erheblich differenzierende, soziale Umstrukturierung, die Bildung neuer Viertel, aufgeteilt in Ghettos und Festungen, aber in jedem Fall closed circuits. Zwischen jenen liegt jeweils ein sozialer Wüstenraum als Puffer und dort herrscht ein Krieg um Dinge, Bilder und Waren, der eben auch gemanagt ist. Davis spricht in diesem Zusammenhang von der Polizei in LA angemessen als einer Raumpolizei, weil sie sich im puffernden und trennenden Zwischenraum strategisch, aber nicht integrativ bewegt. Interessanterweise ist dieser Pufferraum ein funktional leerer Raum mit sozialem Depotcharakter und damit durchaus vergleichbar dem, in den Kunst heute hineinkompiliert wird. Gerade als solches Depot wird sie wie er noch funktionalisiert, indem dessen unbrauchbare Unverhältnismäßigkeit dort einerseits verlangt oder kritisiert werden kann, wie sie aber andererseits schon nutzbar gelagert ist.

V

An dieser Stelle sollten wir kurz pausieren und eine Art Zwischenbilanz aufzustellen versuchen. Folgende Bedingungen – und die Voraussetzungen dafür, sie zu finden, waren induktiv voreingestellt – konnten für Komprimierte Bilder bislang gezeigt werden:

1. Sie sind gekoppelt an Bewegung und Geschwindigkeit.
2. Sie oszillieren zwischen Lokalität und Universalität.
3. Sie enthalten diesbezüglich eine virtuelle Komponente.

Folglich ist:

4. auch ihre Darstellung gekoppelt an virtuelle Bedingungen.

Setzen wir nun in dieses Modell integral noch die metamorphen, also mimetischen, ikonografischen Verwandlungen ein, so folgt, daß das Mimetische ebenfalls eine virtuelle Komponente haben muß. Das heißt dann umgekehrt, die Genauigkeit eines Ortes versetzte die Zeit und eine genaue Zeitangabe marginalisierte den Ort. Mit Michel Serres' (1994) These, das Irrationale selbst sei mimetisch, können wir damit unser Modell sogar noch erweitern, denn dann sollte kontextuell gelten:

5. Komprimierte Bilder enthalten geometrische Anschauungen sowohl konjunktiver wie disjunktiver Art.

Als geübte Nomaden und Wanderer zwischen diesen beiden, expliziten Welten der Gegenstände, die nun nachweislich unverzichtbar sind, vernachlässigen wir aber einfach – praktisch und folgenschwer – die Integrale, die im Transport der Dinge in der jeweils anderen Welt zu Differenzen und Ausschließungen führen. Wir unterschlagen auch deren Trägheit, lösen sie aber in Sprache auf. Wir unterschlagen, daß sich die Geometrie, die Vermessung der Dinge, verändert, wenn sich die Dinge oder wir uns bewegen, bemühen aber den bewegenden Begriff, um dies zu rechtfertigen. In einem solchen doppelten Spiegelbild verführt also einerseits die Falle der mathematischen Axiome, wie andererseits der imperialistische Impetus durch zwanghafte Vermehrung daraus zermürbt. Faktisch umgekehrt erscheint aber als alter ego solch kristalliner Abstraktion des Blickes auch der absehbare Wärmetod volkswirtschaftlicher Rekapitalisierung von Dynamik als hilflos und dreist. Oder sollte es beispielsweise vervielfältigte Geheimtips ernsthaft geben?

Stellen wir uns dagegen nun vor, wir könnten simultan wechseln zwischen den Aufsichten, der erhellenden Registratur von Stadtplänen beispielsweise, und Ansichten eben jener Lokalitäten, auf die die Differenzierung fokussiert war. Man würde dann ebenfalls diesen leeren Zwischenraum – im Film interessanterweise noch sichtbar im ja integrativen Schnitt zwischen zwei Sequenzen – funktional auch verwenden müssen. Selbst wenn durch Simulation und Trickrechnungen die Gleichzeitigkeit ungleichzeitiger Orte darzustellen wäre, so wäre ein solcher Schnitt nicht zu umgehen und er würde in jedem Fall die Anatomie wie Geometrie seines Zieles genauso voraussetzen, wie er sie hervorbringen würde.

VI

Obwohl damit doppelt eingespannt, ist das Phänomen der Dichte genau hier beschreibend anzunähern, da im Schnittbild, der Projektion beider Schnittflächen, sich disjunktiv konjunktiv, lokal universal, anatomisch geometrisch die hemisphärische Spiegelsymmetrie des Blickes wiederfindet und ausrichtet. So erscheint gerade dort – im Zeitort der Virtualität – es möglich zu sein, sowohl die Achsen als auch die Strukturdaten zu finden, die im Sinne der Verdichtung zu verkürzen oder zu verzögern sein würden und aus denen die Differenzen der Schnittebenen ihre Mobilität erhalten könnten.

Als virtuelle Analysen, d.h., vor-ordnend verstanden, würde ein Verhältnis dieser beiden Modellbildungen vorallem mit Theorien des Verhältnis-Nehmens dann auch konstruktive wie kritische Maßnahmen abstrahierender Ordnungssysteme ergeben:

1. Einen Weltbildcharakter gesellschaftlicher Theorien betreffend, scheint das Bewußtsein interpretatorischer Maßgaben sich gegen behauptete Regelwerke durchgesetzt zu haben. Der Horizont einer Interpretation, die Kontextualität, verschiebt sich also und ist nicht mehr Grenze, sondern Gegenstand der Verhandlung (Greenblatt 1991). Im aktuellen Gesellschaftswandel, in dem politischen Grenzöffnungen, den vermehrt internationalisierten Kapitalbewegungen und der angestrebten Flexibilisierung der Arbeitsmärkte auch mit dumpfem Nationalismus, Rassismus und Regionalismus entgegnet wird, erscheint so nicht allein die Frage interessant, wie diesen Reaktionsabhängigkeiten logistisch zu begegnen sein wird, sondern wodurch sie eben die sie stabilisierende argumentative Abhängigkeit verlieren könnten (Hirsch 1995).

2. Eine Gegenstände und, verhältnisnehmend, Räume betreffende strukturelle Analyse von Maßnetzen war stets Aufgabe der Geometrie. Praktisch angewendet, im Vermessungswesen, oder weiterentwickelt in der weltumspannenden Satelliten- oder Überwachungsnavigation beschreiben unendliche Zahlen endliche Phänomene (Serres 1994). 3D-Simulationen sind vor diesem Hintergrund alleine deswegen endlich, weil die dazu nötigen Prozessoren so schnell operieren, daß sie aus der Trägheit der Strukturformeln nur Zahlenhaufen herauslösen können. So müssen zur Kompression also entweder nummerische Ergebnisse träger werden oder die Formeln sich bewegen, wie beispielsweise an chaostheoretischen Operationen zu sehen ist. Interessanterweise haben alle Vermessungen – auch die in der Erkenntnistheorie – Schnittbildcharakter, d.h., sie reduzieren Räume sukzessive und virtuell auf Punkte und Linien.

3. Vor dem Hintergrund der Diskussionen um Realzeitprozessoren und -übertragungen erhält eine Definition der Gegenwart als Kontraktion einer Ebene, die selbst in maximaler Kontraktion noch aus der Dialektik von Kontraktion und Entspannung besteht (Deleuze 1992, Meyer 1993), philosophisch eine ungewöhnliche Ausleuchtung: So wird Prozeß und Übergang im gleichen Atemzug und mit gleicher Richtung definiert wie Zeitpunkt und Abgrenzung. Bewegung kann komprimiert offenbar auch abstrakt werden, wie das beispielsweise für die sinnvolle Interpretation urbaner Wachstumsmodelle notwendig war.

4. Von den boites en valises Duchamps (1935) bis zu den balises de survie Virilios (1994) sind Versuche präsent, in denen Bildern, die ihren Transport, Ortswechsel oder Übergangscharakter thematisieren, konzis, pragmatisch und bedeutsam ästhetische wie ethische Form verliehen wird. Konzentration und Referenz solcher Aussagen eröffnen eine Perspektive, die es erlaubt, übertragbare komplexe Informationen in noch subjektiven Ausbildungen so zu verwandeln, daß Regeln, nach denen ein Informationskorpus geschnitten und projiziert werden kann, durch den thematischen Prozeß ableitbar entstehen könnten (Weibel 1994, Graham 1990).

5. Der informations- und medientheoretisch abgeleitete Redundanzbegriff erreicht als Ansatzpunkt für kritische Überlegungen zur Mehrwertabschöpfung aktuelle Brisanz, so daß Überfluß nicht mehr der Überproduktion entspringt, sondern selbst bereits Produkt ist (Lazzarato 1995). Gegenwärtig zeigt sich das als virtuelle Ideologisierung, historisch deutet es aber auf merkantil und oligarchisch bestimmtes Kapital (Hirsch 1995).

VII

Damit nun konkret und abstrakt: Wenn es stellvertretend gelänge, abseits marktbestimmend und touristisch signifikanter Label, für eine Stadt ein Bildportrait zu finden, beispielsweise als Kurzfilm oder Video, und diese Konstruktion enthielte Elemente der labyrinthischen Horizontalen (ein Prinzip der Simultaneität), Strukturen der vertikalen Kategorien (ein Prinzip der Synchronizität), Bewegung (ein Interferenzprinzip), Relativität (ein mimetisches Prinzip) und eine einbeschriebene Dislozierung (ein entropisches Prinzip), so wären faktisch alle Bedingungen erfüllt, die für eine jeweils axial gerichtete Möglichkeit der Kompression in Frage kämen.

Wenn mit diesen Vorgaben insgesamt die Aufgabe schon gestellt ist, so steht die Wahl der Mittel aber noch frei. Es wird also ein zukünftiger Ort der Kunst sein, Aussagen so zu plazieren, daß ihnen kritischer Gebrauch auch jenseits von Zynismus und Betroffenheit noch zuwächst und es ist wahrscheinlich, daß in vielfach überlagerten und verschränkten Konstrukten ein Potential verdichtet steckt, aus dem Gebrauch zwar abgeleitet, seine Fatalität als Verbrauch jedoch nicht mehr hochgerechnet werden kann. Damit steht, von schon absehbaren Verrätselungen befreit, die Mühe aus, weniger eine Theorie als eine Praxis und eine Gebrauchsanweisung zu Komprimierten Bildern zu entwickeln. Vor dem historisch nun fragwürdig gewordenen Hintergrund, in Bildern fortwährende und zeitübergreifende Transmitter-Kapseln sehen zu wollen, stellt sich die neue Frage nach der Dichte von Bildern nicht mehr allein als Folge aus dem Abgleich von Präsentation und Repräsentation, sondern als Ergebnis ihrer Mobilität von Differenzen. Die Art ihres Transportes wird aber ausmachen, was sie mitzuteilen haben.


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